Wir sprechen mit Andy Stanis, dem Managing Director von Intershop in Nordamerika, über die Folgen der Covid-19 Pandemie auf die Digitalisierungsbemühungen von Herstellern und Großhändlern.
Andy, die Covid-19 Pandemie hat die Art und Weise, wie B2B-Geschäfte betrieben werden, in wenigen Wochen verändert. Welches sind die drei größten Herausforderungen, von denen Hersteller und Großhändler in den letzten Monaten sprachen, und welche Rolle spielt der E-Commerce hierbei?
Viele Unternehmen, mit denen wir gesprochen haben, haben mit einem Mal gemerkt, wie fragil ihre Lieferketten eigentlich sind. Konzepte wie Real-Time-Bestandsmanagement sind natürlich die Idealszenarien, aber weit von dem entfernt, was tatsächlich gelebt wird.
Darüber hinaus erwies sich die Abhängigkeit von Lieferanten in Ländern wie China und Indien als eine Herausforderung, weil sie natürlich auch Produkte für den Eigenbedarf behalten haben, oder weil sie mit starken Einschränkungen zu kämpfen hatten, wenn es darum ging, dass Menschen gemeinsam in Fabriken Waren herstellen.
Eine solide E-Commerce-Strategie und -Lösung hätte flexiblere Reaktionen auf die Maßnahmen und schnellere Erkenntnisse ermöglicht.
Viele erkannten erst als sie um das Überleben ihres Geschäfts kämpften, dass sie schlecht darauf vorbereitet waren, flexibel zu sein und Kunden online zu bedienen. Es ist im Grunde schockierend, dass viele Unternehmen in Bezug auf die digitale Transformation noch immer weit hinter den Erwartungen zurückliegen, aber sie sind es!
Sie hängen seit 20, 30 Jahren in den gleichen Bedenken fest wie z.B. wer für den Verkauf provisioniert wird oder ob ihre Distributionspartner nicht vegrault werden. In der Zwischenzeit verschob sich so einiges Geschäft ins Netz- zumeist ohne sie. Da wurden halbherzige Versuche unternommen, online zu verkaufen, indem sie sich zum Beispiel auf Marktplätzen angemeldet haben– und auf einmal war der größte Teil des Gewinns dahingeschmolzen und ihre Kundenbeziehungen am Boden.
Hersteller hatten in den letzten Monaten Mühe, das Vertrauen der Kunden aufgrund mangelnder Geschäftskontinuität oder mangelnder Lieferungen aufrechtzuerhalten. Genau wie im B2C wird ihr Käufer, sobald er nicht mehr erwartungsgemäß bedient wird, woanders einkaufen. Die Loyalität ist nur so gut wie das letzte Einkaufserlebnis!
Angesichts des Mangels an Flexibilität und Funktionen auf vielen Marktplätzen oder in „günstigen“ B2C E-Commerce-Lösungen (die dafür da sind, Socken und nicht komplizierte B2B-Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen) sahen Hersteller und Großhändler in den letzten Monaten viele Kunden in Scharen davonziehen. Ob diese jemals zurückkommen werden?
Durch das radikale Wegbrechen traditioneller Kundenkontakte wurde durch die Covid-19 Pandemie auch deutlich, dass Maschinenbauer, andere Hersteller oder Großhändler einen grundlegenden Mangel an geeigneten (bestenfalls digitalen) Self-Services haben.
Durch das hastige Zusammenschustern einer B2C E-Commerce-Lösung wurden ganz basale Unterschiede in den Bedürfnissen von B2B Einkäufern nicht berücksichtigt: Zahlung geht nur per Kreditkarte, Preise und Kataloge sind nicht die individuell vereinbarten, Versand geht nur an eine (Rechnungs-)Adresse, hohe Mindestbestellwerte oder feste Mindestliefermengen – all das zahlt nicht auf eine kundenzentrierte Ansprache und eine langfristige Geschäftsskalierung ein.
Wir wissen noch nicht genau, wie die neue Normalität aussehen wird. Welche kurzfristigen Auswirkungen erwarten Sie von der Corona-Krise auf die B2B-Branche?
Kurzfristig geht es darum, das Überleben des eigenen Geschäfts zu sichern. Wer das schafft, muss mittelfristig daran arbeiten, für seine Kundschaft relevant zu bleiben: Haben Ihre Kunden bereits schon bei der Konkurrenz eingekauft? Bieten diese vielleicht ein besseres Online-Erlebnis? Wenn die Antwort ja lautet, werden diese Hersteller und Großhändler es sehr wahrscheinlich schwer haben.
Der Druck auf die Digitalisierungsbemühungen nimmt also zu, aber viele Projekte, die wir mit potenziellen Kunden besprochen haben, waren „richtungslos“. Die Pandemie führte zu einer unstrategischen Beschleunigung. Vor nicht allzu langer Zeit war Digitalisierung eben ein Trend in der Ferne, und nun ist sie DER Entscheidungsfaktor für den Unternehmenserfolg!
Der Übergang zum B2B-E-Commerce wird nun schneller vonstattengehen, und die Branche wird in wenigen Monaten den initialen Widerstand überwinden. Die Kunden werden schnell überzeugt sein, dass digital das neue normal ist!
Viele Firmen haben nun ein sehr kurzes Zeitfenster, um aufzuholen und mit der gut finanzierten Konkurrenz Schritt zu halten. Wer schlau ist, weiß, dass dies eine einmalige Gelegenheit ist, den Dinosauriern Marktanteile abzunehmen. Dieser Prozess wird sehr sehr schnell vonstattengehen.
Was raten Sie den Unternehmen als nächstes zu tun? Gibt es eine Lösung für schnellen Erfolg?
Ehrlich gesagt, sollen sie einfach loslegen. Viele Menschen und Unternehmen bremsen sich mit der Suche nach der perfekten Lösung. So sind sie zwischen Ausschüssen und Beratern mit 20-seitigen Tabellenkalkulationen in einer lähmenden Daueranalyse gefangen.
Allein in dieser Woche hatten wir 10(!) Interessenten, die uns sagten, dass E-Commerce erst eine Initiative für 2021 sei. Entschuldigung, WAS????!!! Suchen Sie sich einen Partner aus, der mit Ihnen skalieren kann, der die speziellen Anforderungen an B2B Commerce kennt und versteht (und gleichzeitig möchte, dass das Nutzererlebnis so komfortabel und schön wie im B2C ist) und LOS!
Aber stecken Sie Ihre Bemühungen nicht in eine ERP-Implementierung! E-Commerce-Initiativen sind selbst für erfahrene Profis kein Selbstläufer, dennoch kann man sich vieles aus dem agilen Projektmanagement abschauen.
Zum Beispiel den MVP-Ansatz: Bauen Sie den digitalen Kanal als Einstieg auf, der skalierbar ist. Bringen Sie ihn in kurzer Zeit zum Laufen, und dann finanzieren Sie zukünftige Phasen mit diesen Gewinnen.
Dies ist nur auf einer Plattform möglich, die Sie von der Konkurrenz abheben wird und es Ihnen ermöglicht, sich genau auf die Bedürfnisse Ihrer Kunden einzustellen. Mit anderen Worten, kein Marktplatz und nicht irgendeine B2C-Software, in die irgendwie ein B2B-Patch gebaut wurde. Kaufen Sie bloß keine E-Commerce-Lösung von einem ERP-Anbieter - das bringt nur Ärger!
Und denken Sie daran: Wenn Ihre Lösung so aussieht und sich so verhält wie die aller anderen, haben Sie gerade das Rennen nach unten gewonnen. JETZT haben Sie die Chance, Ihre Kundenerfahrung positiv von Amazon oder einem X-beliebigen Anbieter abzuheben.
Andy, was nimmst Du persönlich aus der Krise der B2B-Unternehmen durch Corona mit? Hattest Du damit gerechnet, im ersten Jahr als General Manager bei Intershop North America Unternehmen durch eine Pandemie zu begleiten?
(lacht)
Ja, ich habe mich in meinem ersten Jahr absolut auf eine globale Pandemie gestürzt! Aber im Ernst, nein, natürlich hat niemand, am allerwenigsten ich, damit gerechnet, dass so etwas passiert. Unter den vielen damit verbundenen Sorgen war vor allem, dass wir nicht in der Lage waren, unsere geschätzten Kunden und Partner bei unserer jährlichen inpulse-Konfrenz zu treffen.
Niemand kann die Zukunft voraussagen. Nur wenige konnten die Folgen schnell abschätzen, und noch viel weniger waren gut vorbereitet. Das macht sie nicht zu einem schlechten Menschen und ihren Arbeitgeber nicht zu einem schlechten Unternehmen. Konzentrieren Sie sich jetzt auf das, was wirklich zählt. Für mich persönlich ist das die Familie. Auf Arbeit sind es unsere Kunden und Mitarbeiter.
Ich freue mich in auf die wirklich großen Dinge, die noch kommen werden. Ich bin stolz auf die Leistung unseres Teams, stolz darauf, die Zukunft des Online-Handels mitzugestalten, und stolz darauf, dass unsere Kunden im Angesicht der Unsicherheit den Mut haben, mit einer Lösung den Online-Kanal voranzutreiben, die es ihnen ermöglicht, sich auf alles was kommt schnell anzupassen.